Im engsten Kreis
Haben Sie in letzter Zeit mal die Zeitung aufgeschlagen und
einen Blick in den Teil mit den Todesanzeigen geworfen? Wenn ja, ist es Ihnen
vielleicht auch schon aufgefallen: der eine Satz, der immer häufiger auftaucht.
"Die Beisetzung/Abschiedsfeier findet im engsten Kreis statt."
Was früher undenkbar war, ist heute „leider“ gang und gäbe. Warum setze ich das „leider“ in Gänsefüßchen? Wer mich und meine Arbeit kennt, der weiß, dass für mich eine Abschiedsfeier auch eine Art letztes Fest ist. Der Moment, in dem wir nochmals die Möglichkeit bekommen, gemeinsam mit Verwandten, Freunden und Bekannten einen Menschen und sein Leben zu würdigen und zu ehren. Gemeinsam nochmals die Geschichte hören, die das Leben nur für diesen einen ganz besonderen Menschen geschrieben hat. Gemeinsam nochmals mit dem Lieblingsbier des Verstorbenen anstoßen oder Seifenblasen in den Himmel pusten, weil die eine das so geliebt hat.
Als Schlusslicht – Abschieds- und Trostexpertin – weiß ich, wie wichtig solche gemeinschaftlichen Rituale sind, vor allem auch für den Trauerprozess. Doch die Realität sieht gerade ein wenig anders aus. Gerade in der Schweiz entscheiden sich immer mehr Angehörige, nur im engsten Kreis Abschied zu nehmen. Doch warum ist das so? Ich könnte jetzt provokativ sagen, weil wir keine Trauerkultur mehr haben und läge damit sicherlich richtig, aber so einfach ist es dann halt doch nicht. Spätestens seit einer gewissen Pandemie vor einigen Jahren hat sich die Art, wie wir Abschied nehmen, stark verändert.
Schon während dieser Zeit sind mir zwei Dinge stark aufgefallen. Während die einen an den Restriktionen (max. 5 Personen) beinahe zu Grunde gegangen sind, haben mir andere Familien unter vorgehaltener Hand zugeflüstert, dass sie eigentlich ganz froh sind, dass sie keine Abschiedsfeier durchführen müssen. Vieles hat sich seither verändert, doch der engste Kreis ist geblieben. Eine Entwicklung, die man sicherlich bedauern kann, aber für die man auch Verständnis zeigen darf. Denn oftmals sind es sehr unterschiedliche Gründe, warum man im engsten Kreis Abschied nimmt. Auf einige möchte ich hier kurz eingehen:
Letzter Wille
Oftmals ist es der letzte Wille eines Verstorbenen, im engsten Kreis Abschied zu nehmen, und die Angehörigen folgen diesem Wunsch.
Emotionale Sicherheit
Ein Abschied im kleinen Kreis ermöglicht es den Trauernden, ihre Emotionen freier auszudrücken, ohne das Gefühl zu haben, beobachtet oder beurteilt zu werden. Viele Menschen suchen in einer hektischen Welt nach einem Rückzug in den engen Kreis, um in Ruhe und Besinnung Abschied zu nehmen und sich auf das Wesentliche zu fokussieren.
Individuelle Gestaltung/Flexibilität
Im kleinen Kreis kann es einfacher sein, besondere Rituale oder Traditionen einzubeziehen, die in größeren Veranstaltungen möglicherweise nicht umsetzbar sind.
Kostenfaktoren
Eine große Trauerfeier kann mit erheblichen Kosten verbunden sein. Viele Familien entscheiden sich daher für kleinere, kostengünstigere Zeremonien.
Praktische Aspekte
Weniger Gäste bedeuten auch weniger organisatorischen Aufwand und damit weniger Stress für die Hinterbliebenen.
Gesellschaftliche Veränderungen
Veränderte Familienstrukturen haben in unserer modernen Zeit dazu geführt, dass viele Menschen weniger enge familiäre Bindungen haben oder weiter entfernt von ihren Verwandten leben, was größere Versammlungen erschwert. Und hier möchte ich auch mal ganz ehrlich sein: Zerrüttete und zerstrittene Familien sind gar nicht so selten, wie man immer glaubt, und nicht jeder Gast wäre ein gern gesehener Gast.
Fazit
Der Trend, im engsten Kreis Abschied zu nehmen, ist vielschichtig und von verschiedenen Faktoren beeinflusst. Es spiegelt sowohl gesellschaftliche Veränderungen als auch persönliche Präferenzen wider. Für viele bedeutet der Abschied im kleinen Kreis eine intensivere und authentischere Form des Gedenkens und der Trauer. Leben bedeutet Veränderung und auch die Abschiedskultur verändert sich.
Als Schlusslicht war es mir schon immer ein großes Anliegen, auf die individuellen Bedürfnisse von Trauernden einzugehen, Veränderungen frühzeitig zu erkennen und vor allem auch Lösungen anzubieten. Denn egal, ob ein Abschied im großen oder im engen Kreis stattfindet, wichtig ist vor allem, dass überhaupt ein Abschied stattfindet (was heutzutage leider auch nicht mehr ganz selbstverständlich ist).
Hier finden Sie ein paar "neue oder andere Formen" des Abschiednehmens.
Neben dem sogenannten „klitzekleinen Abschied“, der wirklich nur 15min dauert, erhalten Sie auch Informationen zum „Abschied do it yourself“ oder „dem letzten Geschenk“
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26.07.2024
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2 Kommentare:
Rachel Schmid Pappa schrieb am 30.07.2024 um 16:03:
Liebe Murielle Diese, deine Worte in der aktuellen Zerreiss-Probe hab ich aufgesogen wie ein Schwamm. Sie treffen - gefühlt - den Kern unseres MenschSEINS. Ich danke dir für dein Dichzeigen, das mutige Zudirstehen und das Teilen mit uns allen. Herzlichst, Rachel
Buser Rolf schrieb am 30.07.2024 um 16:03:
Liebe Murielle Heute Morgen hatten meine Frau und ich das Vergnügen, die Trauerfeier von Fredy geniessen dürfen. Es war aussergewöhnlich, so grossartig gestaltet, dermassen treffend formuliert und liebevoll vorgetragen. Herzliche Gratulation !!!!!